Innovationsprojekt Klimaschutz
Klimaschutzprojekte mit besonderer Strahlkraft und besonders hohem Innovations-Niveau wurden und werden vom Land NRW als „Innovationsprojekt Klimschutz“ ausgezeichnet.

Projekte aus Kommunen und Unternehmen
Kommunen und Unternehmen sind für die Umsetzung von Energiewende und Klimaschutz wichtige Akteure. Vorbildliche Good-Practice Projekte von Städten und Gemeinden sowie von kleinen und größeren Unternehmen finden Sie hier.

Rückschau

Von September 2016 bis März 2019 wurde das EFRE-geförderte Projekt „Zwischenpräsentation der KlimaExpo.NRW – die MitmachExpo“ durchgeführt.

Aachen, Nordrhein-Westfalen - 2017

Zukunftsfähige Behaglichkeit: Saniertes Siedlungs-„Traumhaus“ reduziert den Heizwärmebedarf um 90 Prozent

Über mehrere Monate hat die EnergieAgentur.NRW die Vorzeige-Sanierung eines Siedlungshauses aus den 1950er-Jahren in ein energieeffizientes „Traumhaus“ verfolgt und nun zum Projekt des Monats Mai gekürt. Auch auf der 21. Internationalen Passivhaustagung in Wien stellte Dr. Bernd Steinmüller zusammen mit dem Büro Rongen Architekten dieses Projekt vor.

Ausgangspunkt

Ein Siedlungshaus aus den 1950er-Jahren mit Passivhaustechniken in ein gemütliches, höchst energieeffizientes Haus für die ganze Familie verwandeln? Für den erfahrenen Diplom-Physiker und Dr. Ingenieur der Umwelttechnik Bernd Steinmüller und seine Partner Reiner Wirtz und Markus Kandziora vom Büro Rongen Architekten keine unlösbare Aufgabe. Als sich eine junge Familie Ende 2015 zum Kauf eines solchen Gebäudes in Aachen entscheidet, um dort gesund und modern zu leben, hilft das Team bei der Planung und Umsetzung des Projekts. Das Projekt, das von der EnergieAgentur.NRW unter dem Label „Energieprojekt Traumhaus“ mitbegleitet und in den sozialen Medien mitverfolgt wurde, wird nun als Projekt des Monats Mai vorgestellt. Zeitgleich präsentiert Dr. Bernd Steinmüller es auf der 21. Internationalen Passivhaustagung, die vom 28. bis zum 29. April 2017 in Wien stattfindet.

Wärmebrücken, wenig Dämmung in Dach, Wänden, Boden, in die Jahre gekommene Fenstertechnik, hohe Wärmeverluste zum niedrigen Keller, anzupassende Heizungstechnik sowie der Wunsch der Familie, möglichst rasch das Wohneigentum zu beziehen – wegen der komplexen Herausforderungen des alten Gebäudes erstellte Dr. Steinmüller mit seinen Partnern  einen zweiphasigen Sanierungsplan. Ziel war es, innerhalb weniger Monate einen frühen Einzug zu ermöglichen sowie gleichzeitig eine umfassende Sanierung in Richtung EnerPHIT/Passivhaus-Plus sicherzustellen, wobei Puffer für Überraschungen und Eigenleistungen beim Innenausbau einkalkuliert waren.

Lösungskonzept mit effizienter Passivhaustechnik

Das Sanierungsgrundkonzept wurde bereits parallel zum Gebäudeerwerb entwickelt. Demzufolge wird die Gebäudehülle in der wichtigen Sanierungsphase 1 mit Passivhaustechnik rundum ertüchtigt, was Passivhausfenster, entsprechende Dämmpakete für Fassade, Keller, Dach, Wärmebrückenreduktion sowie Luftdichtung und kontrollierte Lüftung mit effizienter Wärmerückgewinnung einschließt. Auf Grund der nur zwei Meter messenden Kellerhöhe sowie zahlreicher Leitungen an Kellerdecke und aufgehenden Innenwänden gestaltete sich dabei eine passivhausgerechte Dämmung der untersten Geschossdecke/Wandflanken als praktisch kaum durchführbar. Es wurde daher beschlossen, den Keller – wie auch die Loggia – in die thermische Hülle einzubeziehen. Dies verbessert gleichzeitig das A/V-Verhältnis – dem Quotienten aus der wärmeübertragenden Umfassungsfläche (A) und dem beheizten Gebäudevolumen (V) – spart Wärmebrücken und schafft neue, für die Familie attraktive, temperierte Nutz-/Arbeits-/Wohnflächen.

Eine große Herausforderung im Altbau ist die Erstellung eines einfachen, effizienten Lüftungskonzeptes. Leitend war der Gedanke, die typischen Etagen-/Raumnutzungsmuster der Familie zu berücksichtigen, kaum belastete Luft mehrfach zu nutzen, Kanaleinbauten zu minimieren und vorhandene freie Strömungspfade einzubeziehen. Die oberste Geschossdecke des Altbautraktes bot dabei nicht nur einen günstigen Aufstellort für die Lüftungsanlage, sondern auch einen Ausgangspunkt für eine kanalarme, kaskadenartige Erschließung der darunter liegenden Geschosse. Dabei werden die Treppenbereiche als freie Überströmkanäle nach unten genutzt. Ein freier Kaminzug vom Heizungskeller über die Küche zum Dach wird effizient für die Rückführung der Abluft aus den unteren Geschossen zur Lüftungsanlage verwendet. Die Einbeziehung erneuerbarer Energien (Sanierungsphase 2) rundet das Konzept ab.

Zentrale Umsetzungsschritte in Phase 1

Von unten nach oben arbeiteten die Handwerker sich nach den Plänen bei der Sanierung vor: „Für die Kellerdämmung im Bestand bietet sich als wirkungsvolle Option die Außendämmung der Kellerwände an. Diese erfordert eine Ausschachtung bis zum Fundament“, erklären Rainer Wirtz und Markus Kandziora vom Büro Rongen Architekten die ersten Schritte. Unterhalb der an den Anbau angrenzenden Garage war die Durchführung der Außenwanddämmung konstruktiv nicht möglich. Der angrenzende Kellerbereich wird daher dort von innen gedämmt. Eine tiefe Ausschachtung auch für den gartenseitigen Altbaukeller war wegen fehlender Zugänglichkeit des Gartens für hinreichend großes Gerät wirtschaftlich nicht möglich, so dass auch hier auf eine Innendämmung mit Sockeldämmung (ca. 1,3 m) ausgewichen wurde.  Die Kelleraußendämmung und Sockeldämmung wurden als erste Maßnahmen umgesetzt. Die Kellerinnendämmung erfolgt 2017 nach Fertigstellung der Terrasse und Überprüfung/Sanierung noch vorgefundener schadhafter Stellen.

Aufsetzend auf die Keller-/Perimeterdämmung wurde entlang der Fassade durchgängig ein Wärmedämmverbundsystem (WDVS) mit einem mittleren U-Wert von 0,12 W/m2K installiert (i. a. 24 cm, WLS 032). Lediglich in maßlich begrenzten Durchgangsbereichen (Eingang, Garagentrennwand) wurde zur Platzersparnis ein wärmetechnisch noch leistungsfähigeres WDVS (i. a. 16 cm Resolharz WLS 022) gewählt. Garagendecke/-boden erhalten zur Wärmebrückenreduktion Flankenbegleitdämmungen.

Die vorhandenen Fensteröffnungen wurden bis auf wenige Ausnahmen beibehalten, jedoch wärmetechnisch optimiert. Hierbei wurde auf ein schlankes Fensterprofil mit Dreifachverglasung zurückgegriffen. Im rückwärtigen Loggiabereich wurden die alten doppelverglasten Fenster samt Rollläden in der bisherigen Außenwand belassen, so dass die dahinter liegenden Räume bei Bedarf von der nun verglasten Loggia entkoppelt werden können. Die neue Front wurde aus drei Festverglasungs- und zwei Fenstertürelementen aufgebaut, die durch schmale Koppelelemente verbunden werden.

Das Dach gliedert sich in den Altbau (1959) mit ca. 1,5 m hohem, ungedämmtem Dachboden sowie den Anbau (1983) mit ca. 12 cm stark gedämmtem Sparrendach. Beide Bereiche werden einschließlich Ortgang und Traufbereich fachgerecht gedämmt und „zukunftsfest“ gemacht. Im Altbau wird am Kopf der Bodenklappe – für Revisionen leicht zugänglich – ein hocheffizientes Lüftungsgerät (Wärmerückgewinnungsgrad > 90 Prozent) aufgestellt, das auf kurzem Weg an die Außenluft angeschlossen ist. Bedingt durch die senkrechte Aufstellungsart müssen die Luftleitungen erst nach unten geführt und gesondert gedämmt werden. Die horizontale Verteilung zu den einzelnen Räumen erfolgt über nur 8 cm hohe Flachkanäle, die unter der ca. 50 cm Dachbodendämmung (U-Wert 0,07 W/m2K) verschwinden. Lüftungsgerät und Bodenklappe erhalten einen eigenen „Dämmkragen“ aus Expandiertem Polystyrol (EPS).   

Das Dach des Anbaus wurde durch Untersparren-Dämmung auf 44 cm WLS 032, U-Wert 0,08 W/m2K verstärkt. Dabei zeigte sich nach Abnahme der Innenverkleidung, dass die Konstruktion keine ausreichende Hinterlüftung aufwies. In Anbetracht der später eingeschränkten Zugänglichkeit durch die Photovoltaikanlage (PV) auf dem Dach wurde deshalb entschieden, sowohl im An- wie Altbau die in die Jahre gekommene Eindeckung fachgerecht zu erneuern. Als Folge reduzieren sich der U-Wert des gesamten Daches und im Bereich von Traufe und Ortgang zusätzlich die Wärmebrücken drastisch (PSI-Werte i. a. zwischen -0,05 und 0,1 W/m2K).

Überraschungen gehören bei Sanierungen dazu

„Überraschungen“ sind bei Sanierungen eher die Regel als die Ausnahme, so dass der Planungsprozess hierauf kontinuierlich eingestellt und in der Regel schrittweise verfeinert werden muss.

So kam bei Aufnahme der Dachziegel im Traufbereich des Altbaus oberhalb der Loggiadecke eine durchgängige, schwer abbaubare Betonauffüllung zum Vorschein, die sich ohne Behandlung als massive Wärmebrücke bemerkbar machen würde. Daher wurde zusätzlich zur vorliegenden Planung an dieser Stelle loggiaseitig eine 8 cm starke Innendämmung und dachseitig eine 3 bis 5 cm starke PU-Dämmung aufgebracht. Im Dachaufbau des Anbaus erwies sich die Belüftung als nicht ausreichend, so dass hier zusätzlich zur vorgesehenen Verstärkung der Dämmung ein teilweiser Neuaufbau erforderlich wurde. Der Blower-Door-Test zeigte im Bereich der abgehängten Badezimmerdecke Luftundichtheiten zum Dachboden, die – anders als Schwachstellen im Bereich einiger Kellerwände und Deckenränder – nicht ohne zusätzlichen Aufwand behebbar sind. 

Überraschungen gab es auch im Bereich der Gartenterrasse, deren Aufbruch auf Grund mehrerer übereinander liegender Lagen unvorhergesehenen Mehraufwand erforderte. Wegen ungünstiger Garten-/Terrassenneigung zeigte sich zudem, dass Oberflächenwasser lokal in angrenzende Kellerwände eindringen konnte, so dass die Terrasse mit hausabgehender Neigung neu angelegt wird.

Deckung des geringen Restbedarfs durch erneuerbare Energien

Durch obige „passive Maßnahmen“ wird der Heizwärmebedarf des Gebäudes effizient um eine Größenordnung reduziert, so dass der niedrige Restbedarf nun in kleinen „aktiven“ Folgeschritten (Phase 2) über eine PV-gekoppelte elektrische Kleinwärmepumpe günstig gedeckt und primärenergetisch der anspruchsvolle EnerPHit-Plus – beziehungsweise sogar der Passivhaus-Plus-Standard ­– erreicht werden kann. Für die Wärmepumpe wurden im Keller entsprechende Vorbereitungen getroffen. Für eine volle Ausschöpfung der Fördermittel (KfW/BAFA) wäre eine zeitnahe Realisierung, für die Abschreibung des gerade zehn Jahre alten Brennwertkessels hingegen eher eine spätere Realisierung angezeigt.

Fördermittel

Für die Sanierung können einschlägige staatliche Förderprogramme genutzt werden: Seitens der KfW stehen für die energetische Gebäudesanierung ein 100.000-Euro-Kredit mit Tilgungszuschuss (KfW 151) und ein Wohndarlehen in Höhe von 50.000 Euro (KfW 124) zur Verfügung. Das Land NRW eröffnet im Rahmen von progres.nrw mit der 3-Literhaus-Förderung einen Zuschuss von 4.700 Euro. Des Weiteren kann ein KfW-Zuschuss in Höhe von 4.000 Euro für die Baubegleitung (KfW 431) abgerufen werden. Nach Abschluss der Arbeiten ist es möglich – abhängig von Wärmepumpentyp und erreichtem Sanierungsstatus – zusätzlich einen BAFA-Zuschuss zwischen 2.000 und ca. 10.000 Euro zu erhalten.

Die EnergieAgentur.NRW hat die Sanierung in den sozialen Medien „live“ auf Facebook und Instagram mitverfolgt. Im Rahmen der „Traumhaus-Sanierung“ hat die EnergieAgentur.NRW außerdem eine gewerke- und berufsübergreifende Schulung durchgeführt. „Solche Aktionen fördern das gerade in der Altbausanierung erforderliche integrative Denken und Handeln, ohne das Sanierung schnell zum kostenträchtigen „Stückwerk“ wird“, findet Dr. Steinmüller und fügt hinzu: „der Schulungs-Vorort-Termin im Juli 2016 erschien aus unserer Sicht erfolgreich.“ Auch die EnergieAgentur.NRW war mit der Veranstaltung sehr zufrieden. Joachim Decker von der EnergieAgentur.NRW: „Bei der Gewerke übergreifenden Veranstaltung gab es eine große Resonanz. Durch das Mischen unterschiedlicher Gruppen und die offenen Diskussionen entstand ein produktiver, wechselseitiger Austausch nach den Vorträgen und auf der Baustelle in Aachen.“

Familie genießt mehr Wohnraum und geringere Heizkosten

Seit Oktober 2016 wohnt die Familie nun in ihrem modernisierten Eigenheim und genießt den hohen Wohnkomfort: „Glücklicherweise hatten wir kompetente Partner an unserer Seite, so dass wir jetzt anfangen können, unser neues Heim zu genießen; die beste Belohnung für die Arbeit im letzten Jahr.“ Durch die Sanierung konnte das Haus nicht nur modern und behaglich gestaltet werden, auch die Wohn- und Nutzfläche in der beheizten Hülle hat sich vergrößert. Vor der Sanierung standen rund 150 m2, verteilt auf fünf Zimmer zur Verfügung,  nach der Sanierung ca. 200 m2 Wohn- bzw. 230 m2 Nutzfläche mit verglaster, warmer Loggia sowie fünf warmen Kellerräumen in beheizter Hülle. Der Heizwärmebedarf wurde in etwa gezehntelt, d. h. um 90 Prozent verringert: von ca. 250 kWh/m2a (abhängig von Luftdichtheit des ehemals offenen Kamins) auf rund 25 kWh/m2a nach der Sanierung. Die bestehende Fußbodenheizung fügt sich in das Konzept jetzt problemlos ein: die Verluste Richtung Keller fallen nun nicht mehr ins Gewicht, da der Keller in die thermische Gebäudehülle einbezogen wurde. „Auch die bestehende, noch nicht abgeschriebene Gasbrennwerttherme kann weiter genutzt werden, wobei sie durch den drastisch reduzierten Heizwärmebedarf jetzt auf noch  günstigerem Temperaturniveau betrieben und somit den Brennwertvorteil voll ausschöpfen kann“, bemerkt Dr. Steinmüller. Die jährlichen Heizkosten betragen nur noch etwas mehr als ein Euro pro Quadratmeter.  Im Folgeschritt (Phase 2) soll die Gastherme durch eine noch umweltfreundlichere, PV-gekoppelte, elektrische Wärmepumpe ersetzt werden, wobei entsprechende Anschlüsse im Keller während des ersten Sanierungsschrittes bereits berücksichtigt wurden. Das Gebäude kann somit zukünftig noch nachhaltiger betrieben werden, erreicht primärenergetisch dann den „Passivhaus-Plus“-Standard und wird im besten Sinne „klimaneutral“.

Veröffentlichung

Stand: 2017
Start: 05.2017

Standort

Kreis: kreisfrei
Region: Städteregion Aachen
Reg.-Bez.: Köln